Wie es euch gefällt

Viele Kanzleien locken den Nachwuchs mit beeindruckenden Büros an den besten Adressen der großen Metropolen. Das mobile Arbeiten erlaubt inzwischen jedoch neue Kanzleikonzepte. Die ersten verzichten sogar vollständig auf eine Büropräsenz.

Arbeiten, wo andere staunend davorstehen: Für viele Berufseinsteiger ist ein prachtvolles Büro die langersehnte Belohnung für die Strapazen des Jurastudiums. Und wer sich für eine Großkanzlei im ersten Job entscheidet, der kommt sehr wahrscheinlich auf seine Kosten. Besonders deutlich wird das im Frankfurter Bankenviertel, gerne auch Mainhattan genannt. Dort haben viele Kanzleien ihre Büros in den Wolkenkratzern der Stadt eingerichtet. Eine von ihnen ist Mayer Brown. Im bronzeschimmernden Global Tower überblicken die Anwältinnen und Anwälte der US-Kanzlei den Central Business District und die Skyline der Mainmetropole. Wer vermisst da schon den Big Apple?

Auch wenn eindrucksvolle Büros wie die von Mayer Brown beim Nachwuchs hoch im Kurs stehen, hat diese Hochglanzwelt in den vergangenen Jahren Konkurrenz bekommen. Neue Arbeitsmodelle sind in der als konservativ geltenden juristischen Branche salonfähig geworden. So ziehen viele Associates den heimischen Schreibtisch der Kanzlei – zumindest tageweise – vor. Die gestiegenen Homeoffice-Quoten stellen den Sinn von pompösen Einzelbüros infrage. Und so entstehen auch völlig neue Kanzleikonzepte, die vor einigen Jahren vermutlich nicht denkbar gewesen wären.

Laptop statt Ledersessel

Kanzlei ohne Büros: Gemeinsam gründeten David Bomhard (l.) und Jonas Siglmüller die IT-Boutique Aitava und setzen dabei auf ein virtuelles Kanzleikonzept. Foto: Aitava

Komplett ohne Büro? Das geht, wie das Beispiel Aitava zeigt. Die Kanzleiboutique ist 2023 an den Start gegangen und berät zu Fragen rund um künstliche Intelligenz und zum klassischen IT-Recht. Dabei versteht sich die kleine Boutique als virtuelle Kanzlei, ganz ohne feste Büroräumlichkeiten. Ihre Mitarbeitenden sind dabei quer über die Bundesrepublik verstreut – Remote Work macht’s möglich. „Uns ging es nicht darum, mit Aitava zwingend etwas anders zu machen“, sagt Dr. David Bomhard (36). Sein Gründungspartner Dr. Jonas Siglmüller (29) ergänzt: „Wir wollten es einfach richtig machen.“ Selbst große Befürworter von Homeoffice und Mobilarbeit, entschlossen sich die beiden dazu, Aitava auf virtuelle Füße zu stellen. Statt Zettelwirtschaft und Präsenzmeetings also Cloud-Lösungen und Videokonferenzen. Die Aussicht auf Gestaltungsfreiheit war es auch, die Bomhard und Siglmüller reizte, selbst zu gründen. So konnten sie alle Arbeitsprozesse nach ihren Vorstellungen aufsetzen. Dabei wusste das Gründerduo ganz genau, was der Verzicht auf ein traditionelles Präsenzmodell bedeutet. Denn aus ihrer Zeit bei Noerr in München waren sie mit den gewachsenen Strukturen einer Großkanzlei vertraut. So wollten die beiden auch mit althergebrachten Glaubenssätzen brechen. „In den klassischen Kanzleien ist sehr viel auf Tradition gewachsen, ohne dass es kritisch hinterfragt wird“, sagt Bomhard. „Warum etwa sollte man in einer digitalisierten Welt Stau und dergleichen in Kauf nehmen, nur um dann an einem Ort in parallelen Räumen zu sitzen?“

Das Beste aus beiden Welten

Keine Vorgaben: Hildrun Siepmann ist überzeugt, dass es sowohl ein Büro als auch Full Remote geben muss und setzt dies als Gründerin von der Immobilienkanzlei Capstone Legal um. Foto: Capstone Legal

Homeoffice pur, das ist jedoch nicht für jeden das richtige Modell. „Ich bekomme von meinen Mitarbeitenden oft gespiegelt, dass es ihnen wichtig ist, auch einen Ort außerhalb der eigenen vier Wände zur Verfügung zu haben“, sagt Dr. Hildrun Siepmann. Die 41-Jährige ist selbst bevorzugt Bürogängerin und entschied sich 2020 mit der Gründung von Capstone Legal für ein hybrides Modell. Die Kanzlei, die vor allem Immobilientransaktionen und Asset-Management-Mandate bearbeitet, erlaubt Full-Remote-Work. Gleichzeitig verfügt sie über eine Büropräsenz in Hamburg – Blick auf Speicherstadt, Hafen und Elbphilharmonie inklusive. „Ich möchte selbst gerne frei und eigenverantwortlich arbeiten und das auch meinen Mitarbeitenden ermöglichen“, so die Immobilienrechtlerin. „Wenn jemand ambitioniert ist und Lust hat, seinen Job zu machen, muss ich ihm nicht vorgeben, wie und wo er arbeitet.“

Kanzlei-Wiki und Lunch Lectures punkten

Ganz ohne Treffen in der physischen Welt geht es auch bei Aitava nicht. So kommt das gesamte Team, das inzwischen aus fünf Volljuristen besteht, bei regelmäßigen Off-Sites zusammen. Im August verbrachten die IT-Rechtler vier Tage in einer Finca auf Mallorca. Workation also? Nicht ganz. „Wir machen währenddessen keine Mandatsarbeit beziehungsweise nur das allernötigste“, betont Bomhard. „Vielmehr nutzen wir die Zeit, um uns persönlich besser kennenzulernen und an der Kanzlei selbst zu arbeiten. Dafür holen wir alle, egal wo sie aktuell sitzen, an einen Ort.“

Damit Neueinsteiger ihre Kanzleikollegen besser kennenlernen, haben sich die beiden Gründungspartner zudem ein paar Formate ausgedacht, um das Teambuilding über die Distanz zu fördern. Virtuelle Kaffeepausen oder Lunch Lectures, bei denen sich die Mitarbeitenden auf Kanzleikosten Essen nach Hause bestellen, stehen regelmäßig auf dem Plan. Bei Fragen zu internen Arbeits- und Prozessabläufen hilft ein eigenes ‚Aitava-Wiki‘ weiter. Darüber hinaus sei es wichtig, gemeinsam daran zu arbeiten, dass der Gesprächsfaden mit den Kollegen nicht abreißt. „Kommunikation ist das A und O“, betont Bomhard. „Wenn irgendwo der Schuh drückt, stehen wir als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung.“ So wie man im Büro die Nase zur Tür hereinsteckt, dürfe man bei ihnen immer einfach zwischendurch anrufen.

Der Verzicht auf ein teures Büro bringt weitere Vorteile mit sich: Einerseits kann Aitava die gesparten Kosten durch günstigere Stundensätze an ihre Mandanten weitergeben. Andererseits kann die Kanzlei dem Nachwuchs ein üppiges Jahresfixgehalt von 150.000 Euro im ersten Berufsjahr anbieten.

Die Suche nach geeignetem Personal erstreckt sich dabei auf die gesamte Bundesrepublik. „Bei unserem Anforderungsprofil ergibt es keinen Sinn, sich auf einzelne Regionen zu beschränken“, sagt Siglmüller. So dürfte die Gruppe derjenigen, die alle Einstellungskriterien der Kanzlei erfüllen, in der Tat überschaubar sein: Associates sollten exzellente Examensnoten, ein Informatikstudium oder praktische Erfahrung in der Softwareentwicklung und Arbeitserfahrung im ITRecht vorweisen können.

Mit ihrem hybriden Kanzleimodell will auch Hildrun Siepmann von Capstone Legal dem juristischen Nachwuchs ein möglichst breites Angebot machen: „Man vergrault Bewerber, wenn man fünf Tage pro Woche Anwesenheit im Büro fordert. Andersherum schneiden wir uns aber auch Talente ab, wenn wir kein Alternativangebot zum Homeoffice machen.“ Diese Flexibilität kann sich auch auf die Mitarbeiterbindung auswirken. So sind zwei Mitarbeiterinnen wegen der Möglichkeit des mobilen Arbeitens bei Capstone geblieben. Aufgrund eines Wohnortwechsels wären sie sonst zu einer anderen Kanzlei gegangen. „Wir wollen die besten Leute im Team haben, nicht diejenigen, die zufällig in unserer Nähe leben“, so Siepmann.

Strandkörbe auf der Dachterrasse

Bietet ein Refugium: Für Guido Zeppenfeld von Mayer Brown lohnt sich die Investition in ein schickes Büro. Foto: Mayer Brown

Dr. Guido Zeppenfeld sieht in der Flexibilität den Schlüssel, um den juristischen Nachwuchs als klassische Kanzlei mit Büropräsenz zu überzeugen. Der 57-Jährige ist Managing-Partner der deutschen Büros von Mayer Brown. „Uns ist es wichtig, dass die jüngeren Kolleginnen und Kollegen hier ihre Zukunft sehen“, so Zeppenfeld. Erst im Frühjahr haben die Anwältinnen und Anwälte das sogenannte New-Work-Büro in Frankfurt bezogen. Es erstreckt sich über vier Stockwerke und bietet eine Dachterrasse samt Strandkörben. Wie genau die künftige Arbeit aussehen sollte, brachte das Management zuvor durch Umfragen in Erfahrung. Das Ergebnis: mindestens zwei Tage Homeoffice pro Woche und Einzelbüros statt Desksharing sind gewünscht. „Es ist erstaunlich, wie wenig sich im Grunde geändert hat“, sagt Zeppenfeld. „Flexibilität ist das eine, aber die Leute wollen nach wie vor ein Refugium haben, das sie mit Familienfotos und Zimmerpflanze personalisieren können.“

Zwar stellt die Anmietung von Büroräumen neben den Gehältern einen sehr großen Kostenblock dar. Nichtsdestotrotz gehört ein extravagantes Büro in Top-Lage für die meisten Wirtschaftskanzleien weiterhin zum guten Ton. Als attraktiver Arbeitgeber könne sich laut Zeppenfeld dem Nachwuchs nur präsentieren, wer neben einer gewissen Flexibilität bei den Arbeitsmodellen auch über ein prestigeträchtiges Büro verfüge. Und tatsächlich: Ein Blick auf die Prachtstraßen der großen Metropolen zeigt, dass Kanzleien sich die teuren Adressen leisten. Sie investieren weiter in neue, teils noch exklusivere Bürostandorte. Neben Mayer Brown bezog zuletzt etwa auch Gleiss Lutz ein neues Büro – mitten in Berlin. Zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt macht die würfelförmige Fassade den Cube Berlin zu einem architektonischen Hingucker.

Freie Wahl

Auch bei Poellath verzichtet man nicht auf schicke Büroflächen. Damit diese effizient genutzt werden und nicht größtenteils leer stehen, wählen die Anwältinnen und Anwälte eines von zwei Arbeitsmodellen: Entweder sie verbringen den Großteil ihrer Arbeitszeit an einem der drei Standorte und behalten ihr Einzelbüro oder sie wählen ein Flex-Modell und verbringen mehr als die Hälfte der Tage pro Woche im Homeoffice. Im Gegenzug tauschen sie ihr Einzelbüro gegen ein Flex Office, das für die jeweiligen Bürotage per App gebucht werden muss. „Wir haben lange darüber diskutiert, ob das Flex-Modell schon ab dem ersten Arbeitstag bestehen soll und uns schließlich dagegen entschieden“, sagt Dr. Eva Nase (49), Managing-Partnerin bei Poellath. Sie seien zu dem Ergebnis gekommen, dass Berufseinsteiger die ersten zwei Jahre vorwiegend im Büro verbringen sollen. „Es gibt Dinge, die lernt man nur, indem man anderen über die Schulter schaut.

Außerdem können beide Seiten nur so herausfinden, ob sie die richtige Wahl getroffen haben – beruflich wie menschlich“, so Nase. Dass die Büros der Kanzlei trotz großzügiger Homeoffice-Möglichkeiten stets gut besucht sind, könnte auch damit zusammenhängen, dass sich Köche um das leibliche Wohlergehen der Anwältinnen und Anwälte kümmern. „Hier gibt es von Frühstück über Mittag- bis hin zu Abendessen alles. Da nehmen viele die Fahrtzeit ins Büro in Kauf“, sagt Nase. Ein willkommener Pluspunkt, denn sie verbringen – wie die meisten Associates – regelmäßig viel Zeit im Büro.

Es gibt keinen Königsweg

Mit der Wahl für einen Berufseinstieg in einer Großkanzlei wollen viele junge Anwältinnen und Anwälte das volle Paket kennenlernen – dazu gehört auch ein schickes Büro. Die beiden Aitava-Gründer sind trotzdem überzeugt: „Dieser Kanzleityp wird Schule machen, weil er sich gut mit einem nachhaltigen Lebensentwurf verträgt – insbesondere in Zeiten, in denen Wohnraum und Parkflächen in Großstädten knapp und Lebenshaltungskosten hoch sind.“ Dank flexibler Arbeits- und Kanzleikonzepte können junge Juristinnen und Juristen inzwischen aus einem breiteren Angebot wählen. Welches Modell passt, ist dann am Ende Geschmackssache.


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